Rezension von Bergur Moberg Rønne übersetzt
von Detlef Wildraut.
In Tjaldur Nr. 43, Dezember 2009 gebracht (Zeitschrift des Deutsch-Färöischen
Freundeskreises)
Lisbeth Nebelong: Færøblues. Drengen med celloen(Färöblues.Der
Junge mit dem Cello).
Forlaget Hovedland, DK-8270 Højbjerg, 2008, 399 Seiten.
Lisbeth Nebelong ist vor allem als Verfasserin von Büchern
über Privatökonomie hervorgetreten. Aber in den letzten
Jahren hat sie ihren alten Traum verwirklicht, Schriftstellerin
zu werden. Sie hat sich mit einer Romantrilogie, von der bisher
zwei Bände erschienen sind, ein ehrgeiziges Projekt vorgenommen.
Lisbeth Nebelong debütierte 2003 als Romanautorin mit Når
engle spiller Mozart (Wenn Engel Mozart spielen) und veröffentlichte
2008 Færøblues mit dem Untertitel Drengen med celloen
(Der Junge mit dem Cello). Das ist ein Roman über den Musiker
Kári in seinen jungen Jahren, ehe er die Färöer
verlässt, um Berufsmusiker zu werden. Wir folgen Kári
vom Ende seiner Kinderjahre, durch die Zeit der Vorpubertät
mit Wachstumsschmerzen, Geschlechtsbehaarung und Stimmbruch und
weiter bis in die Teenagerjahre, in denen er in den von Verliebtsein
und Zukunftsspekulationen geprägten Wirbelsturm der Unrast
und Verstimmung gestürzt wird.
Káris Zukunft handelt – genau wie der ganze Roman
– von Musik. Der Leser wird regelmäßig daran
erinnert, dass voraus die Karriere wartet. Die fortlaufende Handlung
wird durch kurze Kapitel unterbrochen, welche die Gegenwart schildern,
in der Kári nach 25 Jahren im Ausland zusammen mit seiner
norwegischen Frau Karin und zwei Kindern auf die Färöer
zurückgekommen ist, um bei der Uraufführung der ersten
färöischen Symphonie mitzuwirken. Die vielen Jahre zwischen
der eigentlichen, fortlaufenden Handlung des Romans und seiner
Gegenwart, die sich auf den Februar 2000 konzentriert, beschreibt
eine doppelte Bewegung: die Sehnsucht nach der Welt draußen
und die Reise zurück. Die Gegenwartskapitel sind kurz, und
sie fungieren als eine Art Aufhänger im Hinblick auf den
dritten Band, über den die Autorin andeutet, dass er von
Káris Musikerkarriere handeln wird. Einstweilen erfahren
wir über das Leben des erwachsenen Kári nur, dass
er als Berufsmusiker ein Projekt verwirklicht hat.
Der Roman ist von Anfang an auf eine Bewegung weg von den Färöern
in die Welt hinaus angelegt. Der Motor sind die Musikträume,
und der Weg führt über Freundschaft und Eros. Da ist
die einfache färöische Eva, die stürmische dänische
Jeannette, die etwas zu traditionelle und „feine“
Lisa und nicht zuletzt die wunderbare italienische Novella Listo.
Während es sich bei den ersten drei Mädchen um obligatorische
Jugenderfahrungen handelt, verkörpert letztere gleichzeitig
eine erotische und eine künstlerische Herausforderung. Auf
diese Weise entsteht eine Brücke zwischen dem Thema Eros
und dem Thema Kunst. Novella Listo ist mit einem mäßig
begabten Kunstmaler verheiratet. Während dieser sich draußen
in der färöischen Natur Anregungen für seine Malerei
holt, erhält Kári Privatstunden im Ganzen, wie es
heißt. Musik und Eros gehen kurzzeitig Hand in Hand, aber
dieses Duo gewährleistet (nach seiner Trennung) die Inspiration,
und der Traum von einer Karriere als Cellist hat Kári in
seinen Bann geschlagen. Doch vorher haben andere das Fundament
für diese Karriere gelegt. Káris Onkel, Árni,
unterstützt ihn solide und beständig. Man ahnt die Erfolgsmöglichkeiten
in dem Augenblick, als Kári den Schimmer in der Goldbrille
des Onkels sieht. Das ist ein Schimmer aus einer anderen Welt,
als derjenigen, mit der Kári als Sohn eines Schiffsführers
vertraut ist, aber auch ein vertrauter Schimmer aus dem notwendigen
Hinterland.
Der Leser befindet sich in musikalischer Hinsicht in besonders
kundigen Händen. Færøblues ist ein Künstlerroman,
und er ist gespickt mit musikalischen Bezügen und Assoziationen.
Alles, was gedacht, gehandelt und erfahren wird, knüpft in
irgendeiner Weise an Musik an. Natürlich ist es die klassische
Musik, die den größten Raum einnimmt, weil Káris
Musikerkarriere in diese Richtung weist. Die klassische Musik
wird in hohem Maße in der Sicht von Novella Listo vermittelt,
deren künstlerische Kraft und Grenzenlosigkeit dort einspringen,
wo die Goldbrille des Onkels versagte.
Der Roman handelt in einem unverkennbar färöischen Milieu,
und der ganze Verlauf ist eine Vorbereitung für Káris
bevorstehende Reise hinaus in die Welt. Das Buch schreibt sich
gewissermaßen in eine – literarische - färöische
Erfahrung ein. Die weite Welt wirkt wohl besonders anziehend auf
uns, die wir aus einer kleinen Inselgesellschaft wie der färöischen
kommen, die alles andere als eine Metropole ist, und in der die
Karrieremöglichkeiten begrenzt sind. Die Reise von den Färöern
hinaus in die Welt und aus der Welt draußen zurück
zu den Färöern ist eine wohlbekannte thematische Grundfigur
in der färöischen Literatur. Neue Beispiele dafür
sind die Romane Burtur (Fort), 2007, von Bergtóra Hanusardóttir
über junge färöische Studenten in Kopenhagen und
Í havsins hjarta (Im Herzen des Meeres), 2007, von Gunnar
Hoydal, wo ein Pfarrer (genau wie in Jørgen-Frantz Jacobsens
Roman Barbara) auf den Färöern ankommt. Das herausragende
Beispiel für dieses Thema ist wohl der junge Orfeus, der
am Ende des Romans De fortabte spillemænd (Die verlorenen
Spielleute) von William Heinesen, nach Kopenhagen abreist, um
sich dort als Geiger ausbilden zu lassen.
Der Roman Færøblues legt sich - ganz bewusst und
gekonnt – in das Kielwasser dieses „färöischen“
Themas im allgemeinen und des Orfeus-Themas in De fortabte spillemænd
im besonderen. Es gibt im Roman mehrere wesentliche Parallelen
zu den Spielleuten. Káris Kampf um die Musik und die Liebe
hat eine Ähnlichkeit mit dem Kampf des Orfeus, aus der Unterwelt
herauszukommen, welche in Heinesens Roman die Färöer
repräsentiert. Sie haben beide auch die gleichen Zweifel
an ihrer Wahl einer Karriere in der Musik. Árni hat dieselbe
Rolle wie Kaspar Boman in De fortabte spillemænd, da er
etwas von einem verlorenen Spielmann in sich hat, mit dem Herzen
auf dem rechten Fleck und einer entsprechenden Gleichgültigkeit
gegenüber der eigenen Karriere. Es sind andere Dinge, die
zählen. Der Onkel erzählt Kári dasselbe, was
Boman dem Orfeus erzählt: dass die Musik der Sinn des Ganzen
ist. Kári erfährt konkret, dass er wählen kann,
ob er ein verlorener Spielmann sein will oder ob er Berufsmusiker
werden will. Der Dirigent Jørn Jespersen, der auf die Färöer
kommt, um zu dirigieren, ist außerdem ein Pendant zum Konzertmeister
Andersen in Heinesens Roman. Beide Gestalten fungieren als Brücke
zwischen den Färöern und einer Karriere im Ausland.
Es ist Jespersen, der dafür sorgt, dass Káris Cellotalent
sachkundig gefördert wird, und auf diese Weise die Inspiration
weiterführt, für die zunächst der Onkel und danach
Novella Listo die Grundlage schufen.
Dass es sich um eine gewollte Verbindung zwischen diesem und Heinesens
Durchbruchsroman handelt, wird endgültig klar durch die Gestalt
des Trottels William, der mit der schief aufgesetzten Färöermütze
herumläuft. Dieser William liefert auch den Untertitel des
Romans, als er sagt: „Da haben wir ja den Jungen mit dem
Cello“. Das kann man als Gruß an einen Vorgänger
im Fach betrachten. Der Lehrer Mortensen hat auch kaum zufällig
seinen Namen mit Magister Mortensen in den Spielleuten gemeinsam.
Abgesehen von dieser Wahlverwandtschaft haben diese beiden Romane
nicht viel gemeinsam. Lisbeth Nebelong erzählt ihre ganz
eigene Geschichte. Aber der Roman Færøblues stellt
sich mit diesem Thema in eine Linie mit der färöischen
Literatur oder genauer als ein dänischsprachiger Roman in
denselben Kreuzungsbereich zwischen Dänisch und Färöisch,
die wir von William Heinesen, Jørgen-Frantz Jacobsen, Eilif
Mortansson, Rikard B. Thomsen, Ebba Hentze und anderen dänisch
schreibenden färöischen Autoren kennen. Das künstlerische
Bewusstsein des Romans führt deshalb „natürlich“
in ein durch und durch doppeltes kulturelles Bewusstsein hinein.
Lisbeth Nebelong ist nicht voraussetzungslos. Sie kennt die Färöer
von innen, versteht die Sprache und ist wie der Erzähler
in allen Bereichen der färöischen Gesellschaft zu Hause.
Sie bezieht sich u. a. auf eigene Erfahrungen aus drei Jahren,
die sie auf den Färöern verbracht hat.
Die Dualität von Kunst und Kultur ordnet sich hier in die
Identität ein, denn wer ist man, wenn man wie Kári
25 Jahre außerhalb der Färöer gelebt hat? Der
Roman enthält viele spannende Diskussionen darüber,
was es bedeutet, Färing in einer sich wandelnden Welt zu
sein. Man muss hinausziehen, aber auch zurückkommen. Die
Reise zurück mit Karin und den Kindern wird als „eine
Chance“ beschrieben. Eine Möglichkeit, seine Kinderjahre
mit ganz neuen Augen zu betrachten. Anstatt sie abzuschreiben
und die Färöer zu verdrängen. Aber das wichtigste
in einem Künstlerroman ist der Auszug.
Abgesehen von der zweifachen Sicht ist die größte Stärke
des Romans die Darstellung der Personen. Die Personen treten deutlich
als Individuen hervor und stellen außerdem glaubhafte Vertreter
verschiedener Milieus dar: eines typisch färöischen
Heims wie das von Kári, und eines Oberklassenheims wie
das von Lisa und Erik. Lisbeth Nebelong behandelt ihren Stoff
in klassischer Manier, was, wie sie weiß – und das
geht auch aus ihrem Roman hervor – in der Avantgarde nicht
comme il faut ist. Ab und zu wirkt der Roman etwas zu weitschweifig,
aber den ganzen Weg lang hält er zielgerichtet an seinem
Kunst – und Entwicklungsthema fest und vertieft es. Færøblues
fasziniert besonders durch seine Verkopplungen zwischen Káris
Virtuosentätigkeit und und dem färöischen Kulturbetrieb,
der alles andere ist als ein Wegtreiben von der Welt draußen.
Aus dem Dänischen von Detlef Wildraut
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