Im März 2006 führte die färöische Journalistin
Anna V. Ellingsgaard mit der dänischen Autorin Lisbeth Nebelong
ein Gespräch. Lisbeth Nebelong ist durch ihren 2003 erschienenen
Erstlingsroman „Når engle spiller Mozart“ (Wenn
Engel Mozart spielen) als Romanautorin bekannt geworden. Die Handlung
dieses Romans spielt auf den Färöern. In dem Gespräch
ging es unter anderem um den zweiten Roman, den Lisbeth Nebelong
schreibt bzw. inzwischen fertig geschrieben hat. Er ist auch wieder
ein „färöischer“ Roman und heißt „Færøblues“.
Er wird im Januar 2008 in Dänemark erscheinen, nicht im Herbst
2006, wie noch im Vorspann zum Text des Gesprächs zu lesen
ist.
Die Färöer – Trauma und Geschenk meines
Lebens
Ein Gespräch mit Lisbeth Nebelong
Anna V. Ellingsgaard - Aus dem Färöischen von Detlef
Wildraut
Die Frage ist ja, ob eine Dänin sich überhaupt erlauben
kann, eine Geschichte über einen färöischen Jungen
zu schreiben. Die Autorin Lisbeth Nebelong hat Zweifel, aber nur
einen Moment lang. Im Herbst kann die Frage ihre Bewährungsprobe
bestehen, wenn Lisbeth Nebelong ihren zweiten färöischen
Roman herausgibt.
Im Flur stehen die Koffer gepackt. Während sie sich an den
Tisch setzt, verrät die Autorin Lisbeth Nebelong, dass es
gerade jetzt ordentlich kribbelt in ihrem Bauch. Nicht, weil sie
gleich ins Flugzeug nach Dänemark muss. Aber in dem einen
Koffer liegt jetzt noch ein Kapitel ihres neuen Romans über
den färöischen Schiffersohn Kári.
„Ja, ich muss gestehen, dass ich nur mit Mühe von dem
Gedanken loskomme, ob eine Dänin sich überhaupt erlauben
darf, einen Roman über einen färöischen Jungen
zu schreiben. Darüber bestehen sicher unterschiedliche Meinungen.
Aber das nehme ich in Kauf, denn jetzt gibt es keinen Weg mehr
zurück“, sagt Lisbeth Nebelong, die soeben auf den
Färöern gewesen ist und Stoff gesammelt hat, damit sie
an ihren zweiten „färöischen“ Roman letzte
Hand anlegen kann. Läuft alles wie geplant, dann kommt das
Buch im Herbst heraus.
In Papas Fußspuren oder?
Das Buch über Kári ist gleichzeitig das zweite einer
Trilogie, in der die Schicksale des färöischen Kári
und der dänischen Lisa sich ineinander verwickeln und wieder
voneinander lösen. Im ersten Buch „Wenn Engel Mozart
spielen“ spielte die 44 Jahre alte Lisa vor der Kulisse
des färöischen Streites um die Unabhängigkeit die
Hauptrolle. In dem neuen Buch nimmt die Autorin den Leser mit
zurück in die 60er Jahre, wo wir Kári, dem Jugendschwarm
von Lisa, folgen, der diesmal die Hauptperson ist. Aber abgesehen
davon, dass es einen Jungen schildert, ist das Buch zugleich eine
breite Generations- und Zeitdarstellung einer aufblühenden
färöischen Wohlstandsgesellschaft, wo die Mutter von
Kári das Haus verlässt, um halbtags zu arbeiten, und
der Vater so gut verdient, dass sie in ein neues Haus in Hoyvík
ziehen können.
„Ich habe lange Interesse daran gehabt, die Geschichte der
60er-Generation zu erzählen, die ja die erste war, die tatsächlich
die Möglichkeit hatte, sich zu entscheiden. Für Kári
enthält die Wahl gleichzeitig einige andersartige und dringliche
Fragen, in die ich mich gerne vertiefen würde“, sagt
Lisbeth und weist darauf hin, dass es irgendwie in der Luft liegt,
dass Kári Seemann wird wie sein Vater. Als kleiner Junge
träumt Kári seinen Traum vom Schiffer, während
er sich beständig nach seinem Papa sehnt. Aber als er schließlich
die Möglichkeit erhält, einmal zur See zu fahren, wird
er sich darüber im Klaren, dass er doch kein Seemann werden
muss.
„In dem Buch lasse ich Kári und den Maschinisten
einige Gespräche über die Entscheidung für den
Seemannsberuf und die Berufswahl überhaupt führen. Die
Gespräche führen dazu, dass Kári schließlich
wagt, seinen eigentlichen Traum auszusprechen: er möchte
Berufscellospieler werden. Für Kári hat diese Entscheidung
einige ganz konkrete Konsequenzen, die ihn zwingen, seine gesamte
Zukunft in einem ganz anderen Licht zu überdenken, und möglicherweise
als eine in einem ganz anderen Land. Zur Zeit versuche ich, mich
in Gedanken wie diese hinein zu versetzen“, berichtet Lisbeth.
Eine Männerwelt
Und hier beginnt es wieder, im Bauch zu kribbeln. Weil die Autorin
sagt:
„Was weiß ich als Dänin darüber, was es
heißt, ein färöischer Junge zu sein? Und was wird
das für eine „färöische“ Geschichte,
die ich erzählen kann, wenn ich sie durch meine dänischen
Brille betrachte? Ich kann versuchen, sachlich zu sein und im
übrigen meine Recherchen so gründlich wie möglich
durchzuführen. Aber letzten Endes wird eine Geschichte ja
immer vom Autor gefärbt“, räumt Lisbeth ein.
In diesem Zusammenhang kam die Autorin zu dem Schluss, dass sie,
um den Zwiespalt von Kári beschreiben zu können, Einblick
in das Leben bekommen musste, gegen das er sich entscheidet. Deshalb
fuhr Lisbeth im vergangenen Jahr mit dem Trawler Brestur zur See.
Auf diese Weise hatte sie reichlich Möglichkeit, sich in
dieser eigenartigen Männerwelt zu bewegen und sie zu beobachten.
Sie führt aus, dass das, was mit Kári an Bord geschieht,
in jeder Hinsicht eine fiktive Geschichte ist, obwohl sie die
Erlebnisse auf der Tour in ihrem Buch verwendet.
„Aber eine fiktive Geschichte muss außerdem überzeugend
sein. Für mich wäre es zum Beispiel schwer möglich
gewesen, das eigenartige Schauspiel zu beschreiben, wie das Schleppnetz
eingezogen wird, wenn ich es nicht in der Wirklichkeit erlebt
hätte. Auch herrschte unter der Mannschaft an Bord eine ganz
besondere Stimmung, die ich erleben musste, um den Gesprächen
zwischen Kári und dem Maschinisten den richtigen Ton zu
geben“, sagt Lisbeth.
Man muss sagen, die Geschichte von Kári führt die
Autorin weit herum. Während dieses Besuchs auf den Färöern
hat Lisbeth nämlich die Gelegenheit genutzt, um mit jungen
färöischen Schauspielern unter anderem darüber
zu reden, dass man aus dem Land wegziehen muss, wenn man seinem
Traum folgt.
„Hier ist es, kurz gesagt, meine Neugierde, die mich antreibt.
Sind Nation, Aufwachsen und Vergangenheit etwas, das man von sich
abstreifen kann, oder was geschieht, wenn man es versucht?“,
fragt Lisbeth und lässt die Frage im Raum stehen.
Das koloniale Erbe
Während das gespannte Verhältnis zwischen den Färöern
und Dänemark in „Wenn Engel Mozart spielen“ ein
Motiv war, sind politische Nationalitätsfragen nicht in diesem
Ausmaß Teil der Geschichte von Kári. Und doch –
Lisbeth konstatiert rasch, dass man kaum vermeiden kann, dass
irgendeine Form postkolonialer Einstellung sich dadurch in den
Blickwinkel einschleicht, dass sie Dänin ist. Trotzdem meint
sie, mit Gewissheit sagen zu können, dass die Geschichte
von Kári weder entschuldigend, urteilend ist, noch ein
Versuch, Sympathie zu wecken. Das ist jedenfalls nicht das Ziel
gewesen. Was sich dann unbewusst einschleicht, ist eine andere
Frage.
„Für mich ist es vor allem wichtig, in der Geschichte
anwesend zu sein, während ich schreibe, damit ich nicht mit
analytischen Augen dasitze und abwäge, wieweit etwa dieser
oder jener Abschnitt einen verborgenen postkolonialen Konflikt
enthält. Andererseits – soeben habe ich eine Szene
beschrieben, wo Kári in der Schule nicht länger mit
seinem dänischen Freund Óli zusammensitzen soll –
der übrigens Sohn eines Fregattenkapitäns in Mørkadalur
ist, sondern stattdessen nun mit dem färöischen Jákup
zusammensitzen soll, der ebenfalls Sohn eines Schiffers ist. Diese
Szene kann zweifellos sehr interessant werden, wenn man sie durch
die postkoloniale Brille betrachtet“, vermutet Lisbeth.
Weder bei dem vorherigen noch bei dem jetzigen Roman hat Lisbeth
es als ihre Pflicht betrachtet, einer unterdrückten Minderheit
eine Stimme zu geben oder eine Kolonialherrschaft zu entschuldigen,
von deren Relikten sie irgendwie ein Teil ist – oder was
man sich auch immer als ihre postkoloniale Aufgabe vorstellen
mag. Die Situation wäre eine ganz andere gewesen, räumt
Lisbeth ein, wenn sie über Grönland geschrieben hätte,
das nach ihrer Meinung einen Morast dänischen Schuldgefühls
darstellt.
Auf dem Flug ...
Der Beweggrund hinter der Geschichte, zunächst von Lisa und
dann von Kári, ist nicht so sehr ein plötzliches Interesse
für ein kleines exotisches Land. Für Lisbeth ist es
so wichtig, diese Geschichte zu erzählen, weil sie meint,
dass sie selbst eine ganz besondere färöische Geschichte
zu erzählen hat. Das Besondere besteht darin, dass sie in
einem Bild der Färöer verwurzelt ist, das direkt von
ihrer Kindheitserinnerung bis zu dem forschenden Auge der Akademikerin
reicht.
„Abgesehen von meiner lebenslangen Zuneigung sind die Färöer
auch Trauma und Geschenk meines Lebens. Ich weinte, als ich als
Zehnjährige auf die Färöer ziehen musste, weil
mein Vater eine Anstellung bei der dänischen Vertretung auf
den Färöern erhalten hatte. Und ich weinte noch mehr,
als wir zwei Jahre später wieder nach Dänemark zogen.
Sobald ich die Gelegenheit dazu erhielt, ging ich mit neunzehn
Jahren zurück auf die Färöer, als ich für
ein Jahr eine Stelle als Vertretungslehrerin an der Nonnenschule
erhalten hatte“, erzählt Lisbeth, die später als
Journalistin auf mehreren Reportagereisen die Färöer
besucht hat. Im Zusammenhang mit ihrer Ausbildung als Master of
Public Management schrieb Lisbeth außerdem eine Arbeit über
den färöischen Unabhängigkeitsprozess und eine
über die Arbeit am färöischen Grundgesetz.
Die Färöer sind, mit anderen Worten, ein Teil von Lisbeth
geworden, obwohl sie einräumen muss, dass sie hier niemals
zu Hause sein wird.
„Das ist dann etwas, an dem ich nichts ändern kann.
Aber dann ist es all' das, was ich entscheiden kann, indem ich
es wähle oder ablehne. Der Kern in beiden Geschichten ist
letzten Endes die ewige Suche von uns Menschen nach unseren Werten,
nach der Identität und nach dem, was wir mit unserem Leben
wollen. Ich selbst habe mich erst mit fast fünfzig vor drei
Jahren dazu aufgerafft, meinem Jugendtraum zu folgen, Schriftstellerin
zu werden. Einen großen Teil der Zeit fühle ich mich
wie ein Papageientaucher, der sich dicht über den Wellen
bewegt und versucht, in Schwung zu kommen. Dann ist es plötzlich
da, das Gefühl, zu fliegen – und sich eine Zeitlang
als glücklichster Mensch der Welt zu fühlen ...
Der färöische Originalartikel erschien unter dem Titel
Føroyar – mítt lívs løstur og
gáva in der färöischen Tageszeitung Sosialurin,
Nr.55 – 17. März, 2006.
Die Redaktion dankt der Autorin Anna V. Ellingsgaard für
ihre freundliche Erlaubnis, die Übersetzung des Gesprächs
in TJALDUR (Zeitschrift des Deutsch-Färöischen Freundeskreises)
zu veröffentlichen. Sehen Sie bitte www.faeroeer.de
|