Buchgespräch mit Anna V. Ellingsgaard
in Sosialurin 14. december 2007.
Aus dem Färöschen von Detlef Wildraut:
Mit ihrem Buch Færøblues bietet die Autorin
Lisbeth Nebelong eine Antwort auf die Frage, wie man es empfindet,
Färinger zu sein, der zwischen dem Alten und Neuen und dazu
noch im Konflikt zwischen färöischer und dänischer
Kultur gefangen ist.
„Mit dir ist es komisch, Kári,“ sagte sie.
„Eigentlich bist du in meiner Vorstellung überhaupt
kein Färinger.“
Als die Frau des Reichsombudsmanns in der zweiten Hälfte
des Romans Færøblues diese Worte sagt, sträubt
sich nicht allein die Hauptperson, der sechzehn Jahre alte Kári,
dagegen. Auch der Leser weiß, dass es in diesem Abschnitt
in dem neuen Roman von Lisbeth Nebelong um viel mehr geht, als
bloß um die Identität von Kári.
Was bedeutet es eigentlich, Färinger zu sein? Oder noch kniffliger:
Was bedeutet es, Färinger zu sein, wenn ein großer
Teil des geschichtlichen Erbes, das man mit sich trägt, in
irgendeiner Weise dänisch ist?
„Typisch dänisch“
Während die Antwort sich zwischen den Buchseiten fortbewegt,
überkommt einen die Lust, die Einbildung einer dänischen
Autorin, sie wisse, wie es war, in den 60ern ein Tórshavner
Junge gewesen zu sein, für reichlich vorwitzig zu halten.
Und erst recht die Einbildung, zu wissen, wie es ist, Färinger
zu sein.
Lisbeth Nebelong lächelt, während sie den Kopf schüttelt.
„Nein, ich bilde mir überhaupt nicht ein, dass ich
weiß, was es bedeutet, Färinger zu sein. Meine Aufgabe
als Autorin ist es, mir das vorzustellen und es danach der Hauptperson,
Kári, zu überlassen, zu erzählen, wie man das
empfindet. In Færøblues bin ich Beobachter
auf Erkundungsreise in diesem besonderen färöisch-dänischen
Universum, das mich immer fasziniert hat – und in dem ich
mich zu einem gewissen Teil wiedererkenne“, sagt Lisbeth
Nebelong und weist darauf hin, dass sie selbst mehrere Male auf
den Färöern gelebt hat.
In dem Buch treten die kulturellen Konflikte vor allem in der
Freundschaft zwischen Kári und Erik, dem Sohn des dänischen
Reichsombudsmanns, in Erscheinung. Aber Erik hat noch eine andere
bedeutsame Rolle. Die Autorin ist nämlich aufrichtig davon
überzeugt, dass wir dann, wenn wir Menschen aus anderen Kulturen
begegnen, uns selbst in einem deutlicheren Licht sehen. Wenn wir
denn offen dafür sind.
Diese Möglichkeit erhält Kári in reichem Maße
in der Freundschaft mit Erik, der die mit Minderwertigkeitskomplexen
beladenen Färinger total leid ist, die nach seiner Meinung
allesamt schon längst tot wären, wenn Neid eine tödliche
Krankheit wäre.
Aber ist eine derartige „Wahrheit“ für Kári
oder andere Färinger in irgendeiner Hinsicht von Nutzen?
„Das zu beurteilen, muss dem Leser überlassen bleiben.
Ich selbst meine, dass es mehr über Erik als über irgendjemand
sonst aussagt, dass er hingeht und derartiges von sich gibt. Das
tut er ja nicht, weil er böse ist, aber sein Situationsverständnis
als Däne auf den Färöern ist für Angeberei
ungeeignet“, sagt Lisbeth Nebelong.
Und das weiß Kári auch. Er lernt schnell, mit gleicher
Münze heimzuzahlen, und er lässt Erik wissen, dass er
die „typischen Dänen“ gründlich satt hat,
die mit ihren Normen und Werten im Schlepptau auf die Färöer
kommen, ohne das Land zur Kenntnis zu nehmen, in das sie gekommen
sind.
Eine Wahlmöglichkeit
Diskussionen wie diese machen die Lektüre von Færøblues
oft recht unterhaltsam, aber sie haben nicht nur wegen ihres Unterhaltungswertes
einen Platz in dem Buch bekommen.
Laut Lisbeth Nebelong ist das ein Versuch, zu zeigen, wie albern
und perspektivlos diese Aufteilung in Dänen und Färinger,
in „wir“ und „ihr“, im Grunde ist. Wenn
wir nicht lernen, uns über dieses Gruppenverhalten zu erheben,
kann man nicht erwarten, dass sich aus der kulturellen Verbindung
zwischen den Färöern und Dänemark etwas Konstruktives
ergibt. Und das ist nach ihrer Meinung ein großer Nachteil.
Sie selbst betrachtet es nicht als Blauäugigkeit, wenn man
glaubt, dass irgendeine Gemeinschaft der beiden Kulturen zustandekommen
kann, obwohl die Färöer keine selbständige Nation
sind.
Færøblues ist vor allem die Schilderung
einer menschlichen Beziehung. Erik und Kári können
wählen, ob sie einander als „Däne“ und als
„Färinger“ sehen wollen, mit all' den einseitigen
und abgrenzenden Nebenbedeutungen, die das mit sich bringt. Oder
sie können sich dafür entscheiden, einander als die
Personen Kári und Erik zu sehen, die ja auch so sehr anders
sind, wie Lisbeth Nebelong sagt.
Ihrer Meinung nach liegt es also in hohem Maße an den Menschen
selbst, ob sie sich durch äußere Umstände steuern
und eingrenzen lassen, sowohl, wenn sie mit anderen zusammen sind,
als auch, wenn sie versuchen, sich eine eigene Identität
zu schaffen.
Gast im eigenen Leben
Die Frage nach der Wahl wird auf diese Weise in Færøblues
zu einem Thema auf mehreren Ebenen, wobei besonders Káris
Versuch, im Leben Fuß zu fassen, die Geschichte vorantreibt.
Als kleiner Junge ist er ganz einfach davon überzeugt, dass
er Schiffer werden muss, genau wie der Vater. Aber schon auf seiner
ersten Ausfahrt zur See beginnt er zu zweifeln. Das Interesse
an der Musik zieht ihn immer mehr an, und obwohl er weiß,
dass der Vater enttäuscht sein wird, entscheidet er sich
dafür, nicht wieder mit dem Schiff hinauszufahren. Nicht
deswegen, weil die Entscheidung für das Leben auf See irgendwie
die leichteste Wahl gewesen wäre, - eher im Gegenteil.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was gerade diese Wahl in
sich trägt, musterte Lisbeth Nebelong auf dem Trawler Brestur
an, als sie Færøblues schrieb. Die 13 Tage
an Bord nutzte sie, um mit der Besatzung zu reden, unter anderem
über das Leben an Bord und über die Sehnsucht nach Hause.
„Etwas, das sich in diesen Gesprächen oft wiederholte,
war, dass sie bei aller Zufriedenheit mit ihrem Los als Seeleute,
sich doch oft nur als Gäste im eigenen Zuhause empfanden,
wenn sie an Land waren“, erläutert Lisbeth.
In dem Buch verschiebt Lisbeth dieses Empfinden, Gast zu sein,
auf Kári, der sich im Laufe der Zeit als Gast im eigenen
Leben empfindet – so, als wirke er mit „in einem Schauspiel,
wo man sich keinen Regisseur leisten konnte, und wo auch die Souffleuse
von der Gehaltsliste gestrichen war“.
Am Ende ist Kári drauf und dran, schockiert zu sein über
diese „färöischen Zustände“, wie er
es nennt, wo Engstirnigkeit und Kleinlichkeit alles durchsäuern.
Außerdem stehen die Färöer als ein fast reales
Hindernis dafür, dass er seinem Traum folgen kann, Berufsmusiker
zu werden. Mit 19 Jahren entschließt er sich also, das Land
zu verlassen und die Färöer aus seinem Gedächtnis
zu streichen.
Eine Generationsgeschichte
Für Kári ist die Entscheidung, fortzuziehen, eine
Art Auflehnung und Widerspruch. Andererseits hätte er kaum
diese Möglichkeit gehabt, wäre er nicht ein Kind der
60er gewesen. Die Autorin verhehlt nicht, dass sie den Wunsch
hatte, mit Færøblues ihre eigene Generation,
die Generation der 60er, darzustellen, welche die ersten waren,
die wirklich die Möglichkeit hatten, ihren Lebensweg zu wählen.
Obwohl Generationsgeschichten aus diesem Zeitabschnitt schon früher
erschienen sind, meint Lisbeth, dass das Genre dadurch bereichert
wird, dass Færøblues auf den Färöern
spielt.
„Es sind nicht besonders viele färöische Romane
über diesen Zeitraum geschrieben worden, und ich fände
es schade, wenn er einfach in Vergessenheit geriete. Ich war auch
daran interessiert, herauszufinden, was mit einem Menschen geschieht,
wenn in einer so kleinen Gesellschaft eine so unglaubliche Veränderung
vonstatten geht“, sagt Lisbeth Nebelong und erinnert an
den Wechsel von einer traditionellen Fischereigesellschaft zu
einer Wohlfahrtsgesellschaft.
Für Kári bedeutet dieser Wechsel, dass seine gesamte
Identität als Färinger bedroht ist. Oder wie der Bruder
seines Vaters sagt: „Du musst dich jetzt entscheiden, ob
du Färinger bleiben oder Berufsmusiker werden willst.“
Eine Zeit lang neigt Kári zu beidem, wobei besonders die
Oma und die ganze vertraute Sicherheit, die sie verkörpert,
ihn zweifeln lassen. Trotzdem entscheidet er sich nicht nur dafür,
den Färöern den Rücken zu kehren, sondern auch,
die ganze färöische Identität von sich abzuschütteln,
unter anderem dadurch, dass er die Schreibweise seines Vornamens
ändert.
Waghalsiges Unternehmen
Obwohl Kári ein gutes Leben im Ausland hat, besteht wenig
Zweifel daran, dass er sich als ein Opfer in der kulturellen und
politischen Zwietracht zwischen den Färöern und Dänemark
empfindet.
„Als junger Mensch ist Kàri in dieser Entweder-oder-Falle
gefangen, wo er abwechselnd alles, was dänisch ist, entweder
hasst oder in den höchsten Tönen lobt. Er schafft es
ganz einfach nicht, dem Gedanken, dass es einen dritten Weg gibt,
Raum zu geben“, sagt Lisbeth Nebelong und fügt hinzu,
dass das Problem darin liegt, dass ein solches Entweder-oder-Verhalten
einen wie ein Bumerang wieder trifft, denn man wird auf Dauer
festgebunden und kommt nicht weiter.
„Das kann dann eine Erklärung sein. Aber ich meine
nicht, dass das weiterhin als Entschuldigung dafür dienen
kann, dass zum Beispiel die dänische und die färöische
Nation nicht auf eine fruchtbare Weise zu einer Übereinstimmung
gelangen können“, sagt Lisbeth Nebelong.
Mit Færøblues meldet sich die Autorin nun
selbst mit einem Vorschlag zu Wort, wie das Wirklichkeit werden
kann. Sie lässt Kári nach 25 Jahren im Ausland und
nach einer langen schlaflosen Nacht im Hotel Föroyar schließlich
eine endgültige Stellung beziehen. Er entschließt sich
dazu, die Kinder auf einen Gang durch Tórshavn mitzunehmen
und ihnen von den schönen Örtlichkeiten zu erzählen,
wo er aufwuchs. Sein neues Verständnis der Straßen
in Tórshavn wird gleichsam zu diesem dritten Weg, den die
kommende Generation zu gehen versucht.
Für Kári erfordert das großen Wagemut, wobei
die Autorin nicht verhehlt, dass sie sich selbst darin wiederfindet.
„Du hast gefragt, ob das nicht in so weit vorwitzig von
mir ist, mit einem Buch wie diesem zu kommen. Ja, das stimmt,
aber man muss wagemutig sein, wenn man gegen das schwere Joch
der Vergangenheit angehen will. So gesehen ist Færøblues
entschieden ein waghalsiges Unternehmen“, gesteht Lisbeth
Nebelong und wirkt dabei etwas nervös.
Trotzdem freut Lisbeth Nebelong sich darüber, dass das Buch
nun als eine konkrete Botschaft vorliegt, dass man das gespannte
Verhältnis zwischen den Färöern und Dänemark
in Frage stellen kann.
Vielen Dank an Detlef Wildraut für die deutsche Übersetzung,
die in "Tjaldur" Nr. 41/2008 gebracht worden ist.
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